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Volkstrauertag

Wieder ist es soweit, wir gedenken der Toten unserer Kriege. Wird irgendein Gebinde am Massengrab Nr. 3 auf dem Donskoje Friedhof liegen? Dort, wo Anfang der 50er Jahre die Asche der heimlich in der Butyrka im Turm bei Nacht und Nebel ermordeten Deutschen eimerweise hingekübelt wurde, wird vermutlich kein Kranz der Bundesregierung liegen. Dabei waren auch viele Lokalpolitiker unter den Toten: SPD, LDPD, CDU waren vertreten. Ein prominentes Beispiel: Das Potsdamer Bürgermeister- Ehepaar Köhler, deren Familie physisch und psychisch stark unter den Repressalien gelitten hat. Man kann es kaum glauben, über 2000 Menschen wurden durch engagierte Mithilfe und vorauseilenden Gehorsam der SED- Regierung der DDR beseitigt, weil sie sich verdächtig machten, nicht systemkonform zu sein, weil sie gewagt hatten, Wände mit dem Freiheitszeichen F zu bemalen, den Westberliner Radio-Sender Rias zu hören oder Kontakte zu westlichen Organisationen aufnahmen, die sie mit Lebensmitteln, Bücher für die Ausbildung, Westgeld und Pressemedien lockten oder weil sie einfach etwas besaßen, was andere gerne haben wollten. Studenten und Schüler, Lehrer, Hausfrauen, Arbeiter, Polizisten, Rentner, Künstler, Journalisten... vor niemandem machte die Stasi halt, niemand konnte sicher sein, nicht in den Kreis der Verdächtigen zu geraten - vielleicht kannte er ja jemanden, der schon verhaftet war? Sippenhaft war normal und wenn jemand ins Visier der Staatsmacht geriet, dann wurde dessen Umfeld großflächig nach potentiellen "Mittätern" durchsiebt. Konnte man überhaupt nichts finden, so wurden willkürlich Menschen als Gruppe zusammengestellt, die vorher überhaupt nichts miteinander zu tun hatten, sich nicht einmal kannten. Die Verhaftungen waren zum Teil keine regulären Festnahmen, sondern Nacht- und- Nebelaktionen, die allerdings minutiös geplant waren und möglichst heimlich stattfanden. Man setzte falsche Ausweise ein - meist gab sich die Stasi als Polizei aus, Angehörige wurden damit vertröstet, dass es nur um eine Befragung ginge und die Mitgenommenen bald wieder zu Hause wären. Das waren dann die letzten Momente, wo sich Eheleute, Kinder und Eltern, Freunde oder Arbeitskollegen sahen. Von diesen 10 000en, ohne Haftbefehle verschleppten Menschen, tauchten fast 3000 niemals mehr auf. Sie verschwanden zuerst in Verliesen der Stasi oder wurden dann gleich der sowjetischen Besatzungsmacht zugeführt. Nach Folter- davon kann man sicher ausgehen- wurde schon jeder gebrochen und sagte aus, Dinge getan zu haben, die ihm einfach untergeschoben wurden. Die Fantasie des sowjetischen KGB kannte keine Grenzen. Die fast 3000 letztendlich in Moskau ermordeten Gefangenen, von denen ich spreche und von denen mir bisher nur die ca. 900 Namen vorliegen, die uns bis 2005 bekannt wurden, sind 93% derjenigen, die hier in der DDR in Geheimprozessen verurteilt und nach Moskau transportiert wurden. Nur 7 % wurden zu langer Zwangsarbeit im GULAG begnadigt. Ich spreche jetzt nur von denjenigen, die eine Todesstrafe erhalten haben und nach Russland geschafft wurden. Die SMTs in der DDR waren sehr fleißig. 10 000e wurden verurteilt und schmorten in DDR- Gefängnissen und Lagern. Die Listen des DRK sind sehr lang.

Einige Angehörige erfuhren von der Grablage und konnten somit 2005 an der Einweihung des deutschen, von der Deutschen Kriegsgräberfürsorge gestifteten Steines teilnehmen.

Gedenkstein 2018

Niemand von den zurückgebliebenen Angehörigen wurde aufgeklärt, was aus ihren Lieben geworden war. Selbst die DDR- Behörden wurden nur sehr spärlich von den Sowjets informiert. Im Stasiarchiv liegen meterweise Eingaben und Bittschreiben, sogar Anfragen von Stasi, Vopo, DDR- Behörden und Kombinaten denen die Bevölkerung auf den Füßen stand. Denn alle bemerkten doch, dass da plötzlich Menschen verschwunden waren. Es wurde jahrelang vertröstet, dann gelogen. Es gab nach langen Jahren die ersten einzelnen Todesmeldungen mit Todesursachen wie "Herzversagen, Tuberkulose" oder einfach nur: "Er/sie verstarb auf dem Gebiet der Sowjetunion" usw. Grabort unbekannt. Das Schlimmste: Auch der Todeszeitpunkt stimmte nicht. Er wurde mind. um 2 Jahre zurückverlegt. Die Peinlichkeit, dass Menschen so schnell im vermeintlichen Gefängnis oder Lager umkamen, wollte man sich nicht geben. Nun, sie kamen ja auch nicht auf natürliche Weise um, die jungen Schüler, die Studenten, die Menschen wie du und ich. Nachdem ihnen im kalten und modrigen Gefängniskeller der Butyrka, vermutlich im Gang vor dem dortigen Turm, noch einmal die Ablehnung des Gnadengesuchs vorgelesen hatte und die Identität des Delinquenten, den man Tags zuvor noch fotografisch festgehalten hat, feststellte (diese Maßnahme ließ bestimmt in vielen Todeskandidaten Hoffnung aufkeimen, dass sie eventuell doch nicht erschossen werden...diente aber vielleicht nur dazu, für die Nachwelt- die vielleicht einmal kritische Fragen stellen könnte- festzuhalten, dass die Gefangenen zum Zeitpunkt der Erschießung nicht tot, krank und gebrechlich waren.) ging es in den Turm hinein. Dort machte die Drecksarbeit der mit Gummischürze, Gummistiefeln und Gummihandschuhen ausgerüstete leitende General am liebsten selber: Den Genickschuss. Er hieß Blochin und soll seinen Job geliebt haben. Es war ein blutiges Geschäft und er wollte offenbar seine Uniform nicht beschmutzen. Mein Vater hatte einen Goldzahn. Ob man ihm den gelassen hat? Die Leichen wurden sofort noch nachts aus der Buryrka geschafft und zum Donskoje Friedhof gefahren. Fast jeden Tag - wer weiß wieviele Leichen. Manchmal waren bis 10 Deutsche dabei. Dort landeten sie sofort im Krematorium, dessen Öfen die gleichen Modelle waren wie die in Auschwitz und wie diese wohl auch ständig rauchten. Die bösen Taten sollten sich schnell in Rauch auflösen. Die Asche wurde unweit des Krematoriums mit Eimern in ein großes Loch geschüttet. Deshalb ist auf dem kleinen russischen Stein die Rede von der " "nicht abgeholten Asche". Die Asche konnte und sollte ja von niemandem abgeholt werden, weil niemand davon wissen sollte.

Abluftanlage des alten Verbrennungsofens Donskoje-Friedhof Moskau

Blochin liegt übrigens nicht weit vom Massengrab Nr.3 auf dem Donskoje-Friedhof entfernt. Er und seine Opfer sind im Tode praktisch wieder vereint. Zum Schluss soll der Alkohol ihm sehr zugesetzt haben. Auf dem Donskoje - Friedhof, der als Einziger ein Krematorium in Moskau hatte, liegen fast nur Opfer von Flugzeugabstürzen und Unfällen, sowie in Moskau gefallenen Soldaten und eben in 2 Massengräbern 10 000e von Menschen, die Stalin hat umbringen lassen. Auch im Massengrab Nr. 3 liegen nicht nur unsere Deutschen, sondern überwiegend Russen und auch Bürger anderer Nationen, wie Israelis, Japaner, Österreicher usw. Und schon viel eher, als wir Deutsche haben diese Länder dort offizielle Gedenksteine aufgestellt, für bedeutend weniger Tote, denn da passten noch die Namen auf den Stein.

DDR war ein Unrchtsstaat

Wenn jemand heute erzählen möchte, dass die DDR kein Unrechtsstaat war und diese Zeiten doch eigentlich wunderbar und der Zusammenhalt grandios und viel besser war, als heute im freien Deutschland, der kann dann nur innerhalb des Schutzgürtels des Regimes gelebt haben, denn dort konnte man sicher sein. Man musste nur ordentlich mitsingen und mitjubeln, eventuell dem Staat kleine Gefälligkeiten erweisen- es gab ja genug IMs- sogar bis in die Schulklassen hinein. Schon konnte man in diesem Staat ganz gut leben. Man kam auch an Sachen, von denen andere nur träumen konnten. (Die Stasi hatte eigene Läden.) Diese Stimmen, die der DDR- Nostalgie hinterherhängen, werden deshalb immer lauter, weil die Verbrechen dieses Staates DDR eben nicht per "Siegerjustiz" - ein Begriff, den alte SED- und MfS Kader und gleich zur Wendezeit unter die Leute gestreut haben und der willfährig aufgenommen wurde, verurteilt wurden, sondern nach unserem Recht von unabhängigen Richtern und mit allen Vorteilen einer Justiz, die nicht Rache ausübt, sondern die Umkehr und Resozialisierung von Straffälligen vorsieht. Ich glaube, so wie ich den Salzgitter- Report verstanden habe, hätten viele Stasioffiziere und einiges DDR-Gefängnispersonal, sowie die gesamte DDR- Führungsriege Resozialisierung oder zumindest Reue oder Einsicht benötigt. Nein, wir hatten nie vor, jemanden "an die Laterne zu hängen"- auch eine - heute würden wir sagen- Fake- Propaganda der Stasi. Wer aber soetwas wirklich befürchtete, hatte wohl auch viel Dreck am Stecken? Das alles haben wir im Westen großzügig übersehen. Zum Leid der vielen DDR/SED/Stasiopfer, die bis heute keine vernüftigen Entschädigungen erhalten haben.

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Gedenken

Moskau ist zu weit, um selbst Blumen niederzulegen. Die Reise dorthin ist teuer. Die DDR war mitbeteiligt am Verschwinden der Menschen, um die es hier geht. Auf deutschem Boden ist schweres Unrecht geschehen und hier muss auch an einer zentralen Stelle in unserer Hauptstadt ein Gedenk- und Informationsort entstehen- undzwar mit allen Namen der Erschossenen. Sogar die Kriegstoten, die bekannt sind, werden auf Grabanlagen namentlich genannt. Bei über 2000 Personen ist das schon etwas mehr, als ein Grabstein. Aber es sollte dafür Geld vorhanden sein und die Dauerausrede "knappe Kassen", die seit Jahrzehnten läuft, ist schon lange nicht mehr glaubwürdig. Immer steckte nur politisches Kalkül dahinter. Eine moralische Verantwortung scheint es nicht zu geben und das ist eben die Krux. So werden auch in Zukunft aufrechte Bürger mit Zivilcourage behandelt werden- mit Nichtachtung. Es lohnt sich auch heute nicht, Leben und Gesundheit für die Demokratie und Freiheit einzusetzen. Niemand wird es einem Danken, das ist das Resumee aus vielen Jahrzehnten mangelhafter Aufarbeitung. Wir sehen auch, was Großzügigkeit in Bezug auf politische Straftaten - z.B. die Drangsalierungen in DDR- Gefängnissen und in psychiatrischen Kliniken, sowie auch die Verhör- und Zersetzungsmethoden der Stasi, gebracht haben. Letztendlich hat sich die Bundesregierung sogar an Menschenhandel beteiligt- aus Gründen der Menschlichkeit- ja bitte - schließlich waren wir Schuld, dass Menschen extra ins Gefängnis gesteckt wurden, damit man Geld für sie bekam. Alles nicht gewesen? Alles vergessen? Aus diesem dezenten Schweigen und großer Nachsicht erwuchs heute ein Bewusstsein, alles in der DDR wäre doch garnicht so schlimm gewesen und man wünscht sich wieder in diese Situation hinein.Die Gleichgültigkeit und auch Vergesslichkeit in den alten Bundesländern nimmt immer mehr zu. An politischer Bildung hapert es sowieso. Kein Wunder, dass in diesem Konglomerat von DDR- Nostalgie und Angst vor Fremden Parteien Fuß fassen, die mit einfachen Sprüchen  regieren möchten.

Wer die Vergangenheit vergisst, hat die Zukunft schon längst verloren.

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